, Melinda Nadj Abonji

Für Sie gelesen

Toni Ricciardi, Sandro Cattacin, Rémi Baudouï (Hg.): Mattmark, 30. August 1965. Die Katastrophe. Gegenwart und Geschichte, Band 1., Seismo Verlag, Zürich 2015.

Ein Buch, das viele Aspekte der Migrationsgeschichte thematisiert und auf erschütternde Art zeigt, wie die wirtschaftliche Ausbeutung vor allem der Arbeiter mit Saisonnier-Statut tödliche Folgen haben konnte; 86 Männer und zwei Frauen starben im August 1965, als beim Bau des Mattmark Staudamms ein Teil der Gletscherzunge abbrach und die Baracken unter sich begrub. Die Kraftwerke-Gesellschaft hatte sich kaum um die Sicherheit der Arbeiter gekümmert, die mehrheitlich aus Italien gekommen waren; die Wahl des Standortes der Baracken folgte einer reinen Profit-Logik, obwohl klar war, dass der Gletscher in Bewegung war und einzelne Stimmen vor einer Katastrophe gewarnt hatten.
Nach der Lektüre dieses Buches war mir einmal mehr klar, warum ich Geschichte studiert habe, nämlich, weil die Geschichten nie fertig erzählt sind und der Blick zurück unsere Gegenwart erhellt, wenn wir bereit sind, die bewusst verschütteten Schichten freizulegen, Ereignisse, Krisen, Katastrophen neu zu befragen und in neue Zusammenhänge zu stellen.